Was habt ihr so lange in Texas gemacht?

Auf Reisen begegnet man oft Gleichgesinnten. Man trifft sie in Hostels, am Strand, auf der Straße, in den Bergen oder setzt sich in Bars ganz intuitiv neben sie. Nach einer Weile unterwegs sein, steht es einem ins Gesicht geschrieben, dass man nicht mehr weiß, welcher Wochentag gerade ist. Man kommt leicht ins Gespräch und ziemlich bald tauscht man sich über den bisherigen Reiseverlauf aus. Eine Frage, der wir uns des öfteren ausgesetzt sehen ist: Was habt ihr denn so lange in Texas gemacht?

Was mich etwas nachdenklich machte, war die Begegnung letzte Woche in Oaxaca. Wir setzten uns in einer Bar mit sparsamer Beleuchtung an die Theke und bestellten Mezcal – was sonst. Die Gläser von Kieran und Elizabeth neben uns verrieten, dass sie selbigen tranken. Elizabeth nippte mit wenig Begeisterung an ihrem Glas. Kieran, ein 300-Pfund-schwerer Afroamerikaner in Armyhose und dicker Kette, schmeckte, was er vor sich hatte. Das Einstiegsthema war damit gefunden. Mit steigendem Pegel kam die Politik ins Spiel, Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA, Kieran’s anarchistische Weltanschauung und sein daraus resultierender Plan nach Mexiko auszuwandern. Schon seit Oktober, so sagte er, sei er nicht mehr zuhause in Boston gewesen. Als wir uns ausreichend darüber ausgelassen hatten, was in unseren Heimatländern alles scheiße läuft, unterhielten wir uns uns schließlich über lebenswerte Großstädte in den USA und unseren bisherigen Reiseverlauf. Und wir mussten den Amis erklären, warum wir ausgerechnet einen Monat in Texas verbracht haben.
Eigentlich hatte ich gar keine Lust mehr die fehlenden Wochen hier nachzutragen, aber als ich gerade nochmal darüber nachdachte, verdient das Texas-Abenteuer zumindest eine kleine Zusammenfassung. Weil Texas ein echt abgefahrener Roadtrip sein kann. Und es nicht nur Cowboys und Rassisten gibt. Deutsche Siedler, magische Felsen, Waffenmessen oder Padre Island, die längste unerschlossene Sanddünen-Insel der Welt am Golf von Mexiko, sind allein die Reise schon wert.

Nach einer Woche Austin fuhren wir in Richtung Westen mit Ziel Fredericksburg und checkten am Abend stilecht im „Peach Tree Inn“ ein. Schnuckliges, in die Jahre gekommenes Motel in Pastelrosa, das aber liebevoll gepflegt wird. Empfehlenswert sind die „Suites“. Mit Wohn- und Schlafzimmer, Küche und großem Bad sind diese fast so groß wie unsere Wohnung. Und die Veranda mit Feuerstelle, BBQ-Grill und Blick ins Grüne ist dufte und das Cowboyfeeling kommt ganz von selbst auf. Die Leute an der Rezeption sprechen breitestes Texanerisch. Man weiß also nicht immer, was sie einem sagen möchten.

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Wer auf deutschen Spuren wandeln mag, ist in Zentraltexas richtig. Hier trifft man viele Menschen deutscher Abstammung. Pioneers, wie sie genannt werden, die im 19. Jahrhundert kamen, Städte gründeten, diese gegen Indianer verteidigten, mit ihnen Friedenspfeifen rauchten, sie anschließend in Reservate pferchten und bis heute deutsche Traditionen hochhalten. Ein schräger Trip. Eigentlich sind wir tausende Kilometer geflogen, um weit weg von Deutschland zu sein. Fredericksburg, so haben wir auf unserem Streifzug durchs Pioneer-Museum gelernt, wurde 1846 von dem aus Dillenburg stammenden Otfired Hans Freiherr von Meusebach gegründet und zu Ehren des Prinzen Friedrich von Preußen benannt. Noch heute lacht Deutschland einen aus jeder Ecke an. Gastronomien, die „Ausländer“, „Der Daiwel“ oder „Lindenbaum“ heißen, dazu eine Gemeindekirche, ein Marktplatz und eine Hauptstraße. Jeder zweite Bewohner hat einen deutschen Namen, selbst die seltsame Amish-Frau im Amish Laden, in dem man guten Käse und noch viel bessere Postkarten kaufen kann. Jesus neben dem liebenden Paar, Jesus an der Seite des operierenden Chirurgen: sollte Jesus die Druckabnahme gemacht haben, hat er möglicherweise vorher zu viele Dreigroschenromane gelesen. Zu dumm, dass ich die Besten verschickt habe, ohne sie vorher zu fotografieren.

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Und man trifft auf ganz viel Leute, die lustiges Texasdeutsch sprechen. Eine ältere Dame unterhielt sich mit uns im Pioneer-Museum auf deutsch. Die war richtig süß. Und: Was wir auch gelernt haben, ist, dass das Sortiment in den großen Supermärkten wie HEB stark variieren kann. In Fredericksburg ist es europäisch geprägt und der Importkäse und Brot sind vorhanden und bezahlbar. Was in Dallas gar nicht der Fall war. 10 Euro für den „guten“ President ging mir beispielsweise gar nicht runter.

KaeseInDallas

Wenn man in der Gegend ist, sollte man unbedingt zum Enchanted Rock fahren. Wir hatten scheiß Wetter, bin fast erfroren, war aber egal. Alles angezogen, was wir hatten. Ein riesen großer, glatter Felsen, auf dem Indianer einst irgendwelche Sitzungen abhielten, umgeben von einer magischen Landschaft aus Hügeln Prärie und Felsbrocken. Kann man stundenlang abwandern und über die Natur staunen.


Wir blieben noch ein wenig in Deutsch-Texas und fuhren weiter nach Boerne. Eigentlich ist die Stadt kurz vor San Antonio nicht so geil, alles voller Shabby-Chic-Läden und Frauen, die den ganzen Tag Kaffee trinken und in Sportklamotten rumlaufen, so dass sie aussehen, als ob sie gerade aus dem Gym kommen und nix schaffen müssen. Aber unser AirBnB Place war der Shit. Rick & Meryl kommen aus Philly beziehungsweise aus New York und haben sich eine nette Mansion mit Pool, Fitnesshäuschen, Hot-Tub und einer Cabin gekauft. Letztere vermieten sie. Passiert man das Tor zum Grundstück, fährt man noch eine Weile bevor man links die Villa mit Pool, rechts die Garage mit Autos und Motorrädern vorfindet. Das Begrüßungskomitee bestand aus Rick und fünf Handtaschenratten, die in der Villa leben. Noodle hatte es uns speziell angetan. Und der fast blinde, hustende Hund, dessen Namen ich mal wieder vergessen habe, auch. Natürlich durften wir den/das Gym nutzen und anschließend in den Hot-Tub hüpfen.

Die Cabin erklärt sich am besten an den Bildern. Meryl hat ein Händchen für die Einrichtung. Alles aus einfachen Mitteln selbstgemacht oder auf Garagenverkäufen eingesammelt. Jägerhüttenstyle mit dezentem Shabby-Chic. Aussendusche und -klo. Gutes Erlebnis. Man denkt, man steht im Wald. Das Anwesen gehörte mal Jerry und Esther Hicks, ein relativ bekanntes Autorenpaar aus San Antonio, das auf spirituellen Pfaden wandelt(e). Jerry hatte einst mal seine Hühner in der Cabin.

San Antonio. Was soll man sagen. Hier ist Mexiko an jeder Ecke. Tolle Stadt. Das King-William-Viertel ist wunderschön und schreit geradezu nach stundenlangem Herumstrolchen und Fotografieren. Ein paar gute Food Trucks und Restaurants gibt’s auch. Bestes Kaffee- und Frühstückserlebnis im Halcyon. Das Café befindet sich in einem größeren alten Fabrikkomplex, der mit vielen Galerien lokaler aber auch internationaler Künstler, eine Art Kreativzentrum ist. Regelmäßig finden Events, Secondhand- und Kunstmärkte statt. Nennt sich Blue Star Contemporary, wie die Brauerei, die dort ebenso ansässig ist. Lohnt sich.

Finger weg von den Touristenfallen am Kanal. Entlang des Wassers reiht sich Restaurant an Restaurant, die teuer, laut und überfüllt sind. Wir waren lediglich in einem, weil vollkommen ausgehungert. Ihr kennt sie sicher, diese Momente, wo man nach stundenlangem Laufen schon so drüber ist, dass man sich nicht entscheiden kann und am Ende im miesesten Restaurant landet und verkochte Shrimps serviert bekommt. Schnelle Pizza auf die Hand wäre in jeder Hinsicht besser gewesen. Am besten lässt sich das Flair wohl so beschreiben: Klein-Venedig gepaart mit Mallorca-Pegel auf amerikanisch. Aber das scheint viele Fans zu haben.

Nächster und letzter Texas-Stopp war Corpus Christi. City ist richtig langweilig, ausser man steht auf Museen und Kriegsschiffe. Phänomenal ist dagegen Padre Island, mit North Padre Island vor allem aber der nördliche Teil. Wie bereits erwähnt ist es die längste unerschlossene Sanddünen-Insel der Welt, direkt am Golf von Mexiko. Und die Amis erhalten sie auch pingelig. Man kommt direkt von Corpus über eine riesen Brücke auf die Insel. Krasser Ride schonmal. Biegt man nach Norden ab, gelangt man auf die Mustang Island, runterwärts geht’s ins Naturschutzgebiet von North Padre Island. Aber schon vorher ist es traumhaft. Habe noch nie einen so endlosen Dünenstrand gesehen. Und es stört auch überhaupt nicht, dass man mit dem Auto auf und über den Strand düsen darf. Im Gegenteil. Wir waren über Weihnachten da und die Insel gehörte uns nahezu allein. Wieder so ein Erstes-Mal-Moment. Wir und der 200 Kilometerstrand und die Vögel. Keine Ahnung, was hier im Sommer los ist, sucht man aber Einsamkeit sind Nebensaison oder Weihnachten der perfekte Zeitpunkt. Ausser man will Vögel kucken. Dann kommt man natürlich bevor die Viecher ins Winterquartier abhauen. Spektakulär, wenn auch auf eine besondere Art und Weise, ist die Zufahrt zum geschützten Teil. Der Kameracheck ist brutaler als auf jedem Flughafen.

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La Grande Finale: Waffenmesse in Corpus Christi. Ob Pazifist oder Waffenfanatiker. Hat man die Chance, sollte man hin. Fotografieren ist streng verboten. Hab aber ein paar Handyshots aus der Hüfte und mit der Angst im Nacken, jeden Moment rausgeschmissen zu werden, gemacht. So eine Waffenmesse ist, sagen wir mal: gewöhnungsbedürftig. Kinder mit Cowboy-Stiefeln und Messer am Gürtel, bärtige, dickbäuchige Texaner mit großen Wummen, leger um die Schulter gehängt: Es dauert ein paar Minuten bis man sich so wohl wie auf der Spielwarenmesse fühlt. Nicht nach Spielzeug, weil definitiv zu schwer, fühlen sich Uzis, Gewehre und die AK 47 an, die wir dann doch mal in die Hand genommen haben. Schießen war aber nicht, da lediglich eine Verkaufsmesse. Interessantes gibt es dann aber doch. Der männliche Waffenfan ist zwar Zielpublikum Nummer Eins, aber Kinder und Frauen werden auch bedacht. Leicht und in Rosa für die Kleinen. Auch der Nischenmarkt für Frauen bietet Allerlei. Auch hier sind den Pinktönen keine Grenzen gesetzt. Da hat sich doch glatt einer spezielle Halfter, die man vorne an den BH klemmt, ausgedacht. Wie es geht, zeigt ein anschauliches Video, das in der Endlosschleife läuft. In dem Werbefilmchen greift eine Frau blitzschnell unter ihre Bluse, zieht mit einer flinken Handbewegung eine Pistole hervor und drückt ab. Vorraussetzung, um etwas zu verstecken, ist aber Körbchengröße C. Macht Frau es richtig, sieht der potenzielle Räuber oder Vergewaltiger nicht mal einen Nippel blitzen. Stattdessen blickt er in den Lauf ihrer Pistole. Soweit das Video.

Randbemerkung: Auf der gesamten Messe habe ich nur EINEN Schwarzen gesehen. Keine Ahnung, ob das was bedeutet. Schwer unsympathisch sind die Nazi-Militaria-Verkäufer. Aber auch Händler, an deren Ständen überdimensionale Banner mit Aussagen wie „I don’t sell weapons to Muslims“ und Ähnlichem hängen, möchte man eher nicht anlächeln. Auch das ist Texas.

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Fazit: Texas ist ein Kosmos für sich. Tierwelt und Natur sind unschlagbar. Mikrobrauereien ohne Ende. Für Fleischesser ist das Texas-BBQ ein Muss. Hier leben unzählige glückliche Rinder und Rehe. Vögel über Vögel, aber nicht mehr ganz so viele Klapperschlangen, denn die werden leider von Cowboys getötet.

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